Wenn ein Mensch einen Verlust erlebt, steht die eigene kleine Welt still – und wird gleichzeitig im Innen unfassbar laut. Gefühle brechen auf, die kaum in Worte zu fassen sind. Viele Betroffene und auch Fachkräfte suchen dann Orientierung in sogenannten Trauermodellen – Beschreibungen, wie Trauer „abläuft“. Doch helfen diese Modelle? Oder engen sie eher ein, vermitteln ein Gefühl der Unzulänglichkeit? Und erhöhen dadurch den Druck und die Verunsicherung? Diesen Fragen will ich in hier nachgehen. Dazu habe ich die bekanntesten Erklärungsmodelle über Trauer unter die Lupe genommen, erkläre sie kurz, um dann hilfreiche und und nicht so hilfreiche Aspekte zu reflektieren.
Trauerphasen nach Kübler-Ross
Die Trauerphasen von Kübler-Ross sind wohl das weithin populärste Modell, das immer noch vielfach zitiert und verwendet wird. In ihrem 1969 veröffentlichten Buch „On Death And Dying“ (dt.: Interviews mit Sterbenden, 1971) beschrieb die Psychiaterin ihre Beobachtungen aus der Arbeit mit unheilbar kranken Menschen. Sie formulierte ein Fünf-Phasen-Modell, mit dem sie das Erleben und Verhalten Sterbender darstellen wollte:
- Leugnen – Nicht-Wahr-Haben-Wollen der Diagnose
- Wut – und auch Neid auf die, die nicht diese Krankheit haben und weiterleben dürfen
- Verhandeln – eine kurze Phase, in der (eher heimlich) mit Gott oder einer anderen höheren Macht verhandelt wird
- Depression – Verzweiflung und Trauer über den schon erlebten Verlust durch die Krankheit und über den zukünftigen Verlust
- Akzeptanz – der eigenen Sterblichkeit, bzw. des Unvermeidlichen, eine ruhigere Phase ohne Kampf
Die beschriebenen Verhaltensmuster erweiterte sie später auf jede Form von Verlust (z. B. durch Trennung oder Jobverlust). Die Phasen geben Worte für ein unsicheres und oft unerträgliches Erleben. Doch sie werden auch vielfach kritisiert.
Hauptpunkt der Kritik ist, dass Trauer- und Sterbeprozesse nicht linear verlaufen und die einzelnen Phasen wissenschaftlich nicht nachweisbar sind. Kübler-Ross selbst hat später bedauert, die Phasen so linear und damit missverständlich formuliert zu haben.
Trauer nach Bowlby und Parkes
Der Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby, einer der Pioniere der Bindungsforschung, beschreibt gemeinsam mit Colin Murray Parkes Trauer als Reaktion auf eine unterbrochene Bindung. Ihr Modell sieht vier Phasen:
- Schock und Betäubung
- Sehnsucht und Suche
- Desorganisation und Verzweiflung
- Neuorientierung.
Dieser Ansatz macht deutlich, wie tief Trauer in unserer Fähigkeit, zu lieben und Bindungen einzugehen, wurzelt.
Trauerphasen nach Verena Kast
Die Schweizer Psychologin entwickelte ein Modell, das im deutschsprachigen Raum weit verbreitet ist. Sie stützte sich dabei auf die Arbeiten von Kübler-Ross und von Bowlby/Parkes. Sie beschreibt vier Phasen:
- Nicht-wahrhaben-Wollen – des Verlustes, Schock und Entsetzen, Empfindungslosigkeit
- Aufbrechende Emotionen – wie Wut, Schmerz, Angst, Schuld und Traurigkeit, auch oft Ruhelosigkeit und Schlaflosigkeit
- Suchen und Sich-Trennen – Suche nach Nähe zum Verstorbenen, gemeinsame Erinnerungen, wiederholte Konfrontation mit der neuen Realität, auch bewusstes Abschiednehmen
- Neuer Selbst- und Weltbezug – der Trauernde findet einen neuen Platz in der Welt, kann den Verlust annehmen und wieder am Leben teilnehmen. Er vergisst den Verstorbenen nicht, sondern trägt ihn als Teil in sich weiter.
Die Phasen verlaufen sukzessive und meist nicht streng voneinander getrennt. Die Phase der aufbrechenden Emotionen kann nach Kast durch unsere gesellschaftliche Betonung von Selbstkontrolle und der Abwehr von (unerwünschten) Gefühlen erschwert werden.
Traueraufgaben nach Worden
Der amerikanische Trauerforscher William Worden spricht nicht von Phasen, sondern von Aufgaben:
- Die Realität des Verlustes akzeptieren
- Den Schmerz durchleben
- Sich an eine Welt ohne die verstorbene Person anpassen
- Eine dauerhaft innere Beziehung zum/zur Verstorbenen finden
Das Besondere an diesem Ansatz: Der Trauerprozess wird als aktiver Prozess beschrieben. Das Modell eröffnet Handlungsspielräume und passt sich leichter an individuelle Wege an.
Das Duale Prozessmodell
Moderne Forschung betont eher Bewegung als starre Phasen. Margaret Strebe und Henk Schut entwickelten in den 1990er Jahren das Duale Prozessmodell, in dem sie beschreiben, wie Trauernde zwischen zwei Bewätligungsrichtungen hin- und herpendeln:
- Verlustorientierung – sich mit Schmerz, Erinnerungen, Sehnsucht und Gefühlen des Verlusts auseinandersetzen
- Wiederherstellungsorientierung – sich dem Alltag neuen Aufgaben, Rollen und Zukunftsperspektiven zuwenden
Eine trauernde Person setzt sich also einerseits mit dem Verlust auseinander, andererseits gestaltet sie ihr eigenes Leben neu. Beides geschieht im ständigen Wechsel. Da der Prozess starken Stress mit sich bringt, können dabei auch Ablenkung sowie Verweigerung und Vermeidung wichtig und notwendig sein. Erholungspausen können Trauernden demnach guttun.

Wie können Trauermodelle helfen?
Trauermodelle geben eine erste Orientierung. Für Trauernde, aber auch für Fachkräfte, die im beruflichen Kontext mit Trauernden Kontakt haben. Wer sich in der Wucht der Trauer verloren fühlt, findet darin Worte für das Unsagbare. Ein Modell kann spürbar machen: Das, was ich erlebe, ist nicht „verrückt“, sondern Teil eines bekannten menschlichen Prozesses. Das kann entlasten. Fachkräfte geben sie Einblick in mögliche Prozesse und mögliches Erleben von Trauernden. Damit können sie das Gespräch erleichtern.
Generell ist es gut, dass über Trauer – ein so stark verdrängtes Thema – geschrieben und geforscht wurde und wird.
Wie können Trauermodelle schaden?
So wertvoll Modelle sind, sie haben eine Schattenseite. Gerade lineare Phasenmodelle, wie sie von Elisabeth Kübler-Ross populär gemacht wurden, können das Bild erwecken, Trauer müsse in klaren Stufen verlaufen. Wer nicht „in Phase drei“ steckt oder wer wieder zurückfällt, fühlt sich schnell falsch oder ungenügend. Das bringt zusätzliche Verunsicherung in eine verunsichernde Lebensphase und kann den Trauerprozess erschweren.
Trauer ist jedoch kein geradliniger Weg. Sie ist ein lebendiger, individueller Prozess, der sich in Wellen, Rückschlägen und überraschenden Momenten zeigt. Manche Menschen finden Trost im Ritual, andere im Rückzug. Manche brauchen Bewegung, andere Stille. Und auch das was Trost und Erleichterung schenkt, verändert sich, ist heute so und morgen vielleicht anders.
Zudem sind diese Modelle in einem westlichen, individualistischen Kontext entstanden. Andere Kulturen kennen kollektive Rituale, gemeinschaftliche Formen des Erinnerns oder spirituelle Deutungen, die in diesen Modellen kaum Platz haben. (Dazu wird es demnächst einen Blogartikel geben.)
Letzlich ist jedes Modell ein Versuch, einen intensiven, tief erschütternden Prozess darzustellen und zu erklären. Ein Blick durch die spezifische (fachliche) Brille dessen, der oder die es zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Kontext entwickelt hat.
Fazit: Landkarten, kein Fahrplan
Oder – um noch auf meine Überschrift zurückzukommen: Orientierungshilfe UND Schubladendenken!
Trauermodelle sind so hilfreich wie Landkarten. Sie zeigen mögliche Wege, doch niemand ist verpflichtet, genau diese Straßen zu gehen. Für manche sind sie eine Stütze, für andere eine Einengung.
Trauer ist individuell, lebendig und einzigartig. Modelle können helfen zu verstehen – doch sie dürfen nie zum Maßstab werden, an dem sich Betroffene messen oder gemessen werden. Trauermodelle als Beschreibungen zu lesen, nicht als Handlungsanweisungen – das macht einen entscheidenden Unterschied.
Zu guter Letzt fällt mir mal wieder auf: Alle Trauermodelle beziehen sich auf den Trauerprozess nach einem Todesfall. Doch ob jemand stirbt, ob eine Partnerschaft endet oder ein Beruf wegbricht – jedes Mal verlieren wir Bindung, Halt, Sicherheit und Zukunft. Wir trauern, weil etwas uns Wertvolles nicht mehr da ist. Auch wenn manchmal in einem Nebensatz erwähnt wird, dass sich ein Modell auch auf andere lebensverändernde Verluste bezieht, bleibt die Wortwahl auf einen Todesfall fokussiert. Dadurch fühlen sich Menschen mit anderen Verlusten nicht angesprochen oder nicht dazugehörig, auch wenn sie sich in den Beschreibungen wieder erkennen. In meiner Arbeit ist es mir wichtig, Menschen, die durch schwere krisenhafte Zeiten gehen, zu vermitteln, dass ihr Erleben, ihr inneres Chaos eben auch Trauer ist. Und dass ihre Trauer sie durch ihren Prozess der Veränderung trägt.
Wenn du mehr über meine Sicht auf Trauer erfahren möchtest, dann lies hier.
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Wie geht es dir mit diesen Trauermodellen? Was hat dir geholfen? Und was nicht? Schreibe mir gerne einen Kommentar!
Hallo Andrea!
Sehr gute Darstellung der Trauermodelle! Und im weiteren stimme ich dir auf jeden Fall zu! Trauer läuft bei jedem anders, die Phasen wiederholen sich nach meinem Empfinden, aber eher spiralförmig sich nach oben zum Bewusstsein entwickelnd… auch ein Modell … Mich hat vor 1 JAhr mein Mann verlassen nach einer langen Eheund ich freue mich über deinen letzten Absatz! Der Trauerprozess ist tatsächlich ähnlich…. Was Trauer und Verlust angeht.. hinzu kommt die Kränkung des verlassen worden sein.. Danke für deine blogs!
Liebe Nitya, vielen Dank für deine Worte und deine Offenheit. Es tut mir leid, dass du das erleben musst. Und ja, auch eine Trennung löst Trauer aus – und konfrontiert einen mit vielen oft widersprüchlichen Gefühlen und Gedanken. Ich wünsche dir viel Kraft, Geduld, gute Unterstützung und ja auch Sanftheit mit dir in diesen tiefgreifenden Veränderungsprozess. Alles Liebe!